Wolfzeit

Wolfzeit

Originaltitel: Le temp du loup
Genre: Drama
Regie: Michael Haneke
Hauptdarsteller: Isabelle Huppert • Anaïs Demoustier
Laufzeit: BD (113 Min)
Label: Camera Obscura
FSK 12

Wolfzeit   21.12.2022 von MarS

Die Filme des österreichischen Filmemachers Michael Haneke (Funny Games) waren noch nie leicht verdauliche Kost. Mit Wolfzeit aus dem Jahr 2003 veröffentlicht Camera Obscura nun allerdings sein wohl speziellstes Werk erstmals auf Blu-ray im Mediabook...

 

Inhalt

 

Die Zivilisation wie wir sie kennen ist zusammengebrochen. Anne (Isabelle Huppert) und ihre Ehemann Georges (Daniel Duval) haben das Nötigste zusammengepackt, und machen sich mit ihren Kindern Eva (Anaís Demoustier) und Ben (Lucas Biscombe) auf den Weg in ihr abgelegenes Ferienhaus, um sich dort zurückzuziehen. Bei ihrer Ankunft müssen sie jedoch feststellen, dass ihr Haus bereits von anderen Flüchtigen besetzt ist, die Georges kurzerhand erschießen, und Anne und die Kinder verjagen. Auf sich allein gestellt irren Anne, Eva und Ben durch eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, bis sie endlich in einem Bahnhof auf eine Gruppe Menschen stoßen, die sich einer eigenen Ordnung unterworfen haben. Gemeinsam warten sie auf die Ankunft des nächsten Zuges, um sich mit diesem vielleicht in Sicherheit bringen zu können...

 

Wolfzeit ist grundsätzlich ein typischer Haneke-Film. Ein Film, den man nur allzu leicht unterschätzt. Gleichzeitig aber auch einer, den man problemlos überschätzen kann, indem man ihn als "künstlerisch wertvoll" betrachtet, dabei aber außer Acht lässt, dass ein Film eigentlich auch auf die ein oder andere Weise unterhalten sollte. Doch Haneke schert sich nun einmal nicht um die Belange, Wünsche oder Erwartungen des Zuschauers, und konzentriert sich lieber darauf, seinem Filmtitel eine tiefere Bedeutung zu geben. Frei nach der Textpassage des römischen Dichters Titus Maccius Plautus "lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit" ("Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist"), oder aber auch in Verbindung mit der nordischen Mythologie, wirft uns Haneke ohne jegliche Hintergrundinformation in eine offenbar zerstörte Welt, in der es keine Zivilisation mehr gibt, und in der jeder verbliebene Mensch nur noch ans eigene Überleben denkt. Es gilt das Recht des Stärkeren, Verbindungen dienen nur noch dazu, einen Vorteil für sich selbst zu erzielen. Wolfzeit ist eine Reise durch menschliche Abgründe, ist radikal realistisch in seiner Darstellung, und schreckt auch nicht vor verstörender, drastischer, wenngleich auch meist nicht explizit gefilmter Gewalt zurück. Doch nicht nur der Verlust von Menschlichkeit und das Fehlen jeglicher Hoffnung sind in Wolfzeit ein stetiger Begleiter, denn auch im inszenatorischen Bereich setzt Haneke auf Abwesenheit und Verzicht - wie beispielsweise durch den völligen Verzicht auf einen Score in jeglicher Form, oder auch den Verzicht auf eine externe Beleuchtung. Gerade letzteres sorgt für einige interessante Einstellungen, in denen nur minimale Lichtquellen zum Einsatz kommen, ebenso wie auch zu Momenten, in denen das Bild komplett schwarz bleibt, und das Geschehen nur noch von Dialogen getragen wird. Ja, das alles ist ebenso mutig wie konsequent umgesetzt. Woran es Wolfzeit aber am Ende fehlt, das ist eine erkennbare Struktur, eine greifbare Dramaturgie, oder überhaupt irgendein Element, das den Zuschauer bei Laune halten könnte. Stattdessen entwickelt sich Hanekes Werk mit zunehmender Laufzeit immer stärker zu einer echten Herausforderung für den Zuschauer, der sich mit der Zeit ebenso durch die Geschichte quält, wie sich die Hauptfiguren durch die Handlung quälen. Wenig hilfreich ist die kühle Distanz, mit der Wolfzeit den Figuren folgt, und die eine emotionale Bindung im Keim erstickt. Es ist eben eine Zeit, in der die Wölfe herrschen, und da haben weder menschliche Beziehungen noch irgendwelche Hoffnungsschimmer etwas zu suchen. Konsequent, aber eben nicht langfristig wirklich unterhaltsam, sondern vielmehr anstrengend und auf vielen Ebenen grausam zu beobachten.

 

Bildergalerie von Wolfzeit (10 Bilder)

Details der Blu-ray

 

Nicht minder anstrengend ist die Qualität der Blu-ray, die nur in wenigen Momenten ein wirklich scharfes oder gar detailliertes Bild zeigt. Stattdessen ist das Bild - ob gewollt oder nicht sei einmal dahingestellt - meist sehr schwammig und unruhig, was sich vor allem am stark ausgeprägten Rauschen und dem massiven Filmkorn zeigt, die beide in dunklen Bildbereichen und im Verlauf der Nachtaufnahmen sogar noch deutlicher werden. Die Farbpalette ist passend zum Szenario etwas reduziert, aber durchwegs natürlich, der Kontrastumfang ist ordentlich. Akustisch setzt die in LPCM 2.0 Stereo abgemischte Tonspur nur sehr selten Akzente im Effektbereich, und bleibt ansonsten auf eine verständliche und klare Dialogwiedergabe fokussiert. Hörbar dynamischer und weiträumiger ist die französische Originaltonspur ausgefallen, wobei aus Mangel an entsprechenden Szenen sowie dem Verzicht auf einen Score auch hier eher dezente Töne angeschlagen werden.

 

Details des Mediabooks

 

Die Optik des Mediabooks ist recht spartanisch gehalten, und bedient sich für das Cover am bekannten Motiv der bisherigen Veröffentlichungen, welches die finale Schlüsselszene des Films zeigt. Die Rückseite wurde im Querformat bedruckt und liefert die üblichen Details und Inhaltsangaben. Der Innendruck des mit einem matten Finish versehenen Mediabooks besteht aus Closeups der vier zentralen Figuren, die von loderndem Feuer gerahmt werden. Neben dem Film auf Blu-ray, untergebracht in einem dicken Inlay, bietet das Mediabook ein 20-seitiges Booklet mit einem Essay von Filmwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger sowie zahlreichen Szenenbildern. 



Cover & Bilder © Camera Obscura Filmdistribution / Produktfotos: www.sofahelden.de


Das Fazit von: MarS

MarS

Mit Wolfzeit macht es Michael Haneke dem Zuschauer mal wieder alles andere als einfach. Auf der einen Seite ist die Geschichte ebenso erschreckend wie drastisch und auch realistisch, auf der anderen Seite jedoch fehlt es dem Ganzen an einer nennenswerten Dramaturgie oder erzählerischen Höhepunkten. Ein paar Ausbrüche in Form von schockierenden Gewaltexzessen reichen da einfach nicht aus. So allerdings in Wolfzeit auf ganz eigene Art schonungslos quälend und anstrengend, was wiederum hervorragend zur hoffnungslosen Stimmung und der verlorenen Menschlichkeit im Film passt. Ein kunstvoll arrangierter, typisch ungewöhnlicher Film, mit dem Haneke ein weiteres Mal keine Anstalten unternommen hat, der breiten Masse - oder überhaupt jemandem - zu gefallen.


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